Ida Paulin: eine vielseitige Künstlerin

Die in Augsburg geborene Glaskünstlerin Ida Paulin (1880-1955) ist vor allem durch ihre farbenfroh dekorierten Gebrauchsgläser bekannt. Sie zählt zu den bedeutenden Vertreterinnen des Kunsthandwerks zu Beginn des frühen 20. Jahrhunderts, die sich um gut gestaltetes Glas bemühten. Stilistisch spannt sie den Bogen vom Jugendstil, über das Art Déco, hin zum Bauhaus und dem Konstruktivismus. Während des Dritten Reiches pflegte sie einen gegenständlichen Konservatismus, der bis in die Nachkriegszeit fortwirkte.

Die Ausstellung - die erste umfassende Werkschau zu Ida Paulin - zeigt etwa 300 Objekte aus verschiedenen Privatsammlungen, ergänzt durch Werke aus dem Bestand der Kunstsammlungen und Museen Augsburg. Sie wurde in drei Jahren Forschungsarbeit intensiv vorbereitet. Neben Glaskunst, die im Mittelpunkt der Schau steht, werden unter anderem auch Skizzen, Gemälde, Batiken und Stickereien gezeigt.

Begleitend erscheint im März 2024 ein Katalog als neues Standardwerk mit Markenverzeichnis.

Vita >>>


6. April 1880

Ida Paulin wird als Tochter des Baumwollhändlers Josef Paulin und seiner Ehefrau Ida, geb. Hurler, als drittes von sieben Kindern in Augsburg geboren, dort geht sie auf das Institut der Englischen Fräulein und die städtische Höhere Kunstschule


1898

Pensionat in der französischen Schweiz, in Évian-les-Bains am Genfer See


1902 und 1906

Besuch der Damen-Akademie des Münchner Künstlerinnenvereins, zu ihren Lehrern zählen Adolf Münzer (1870-1953), Angelo Jank (1868-1940) sowie die Hamburger Malerin Anna Hillermann (1880-?), aber auch Heinrich Heidner (1876-1974), Ludwig Dill (1848-1940) und Heinrich Rettig (1859-1921)


Ab 1904

Beteiligung an Ausstellungen des Württembergischen Kunstvereins Stuttgart, dem Kunstverein München und Augsburg sowie dem Pfälzischen Kunstverein in Speyer


1907

Sie beteiligt sich mit 23 Arbeiten an der III. Stralsunder Kunstausstellung


1912

Ida Paulin ist in der Ausstellung „Die Frau in Haus und Beruf“ im Zoologischen Garten in Berlin mit ihrer Glaskunst vertreten, ebenso in der Bayerischen Gewerbeschau in München, wo sie gemeinsam mit den damals schon bekannten Glaskünstlern Jean Beck (1862-1938), Isidor Gistl (1868-1950) und Josef Emil Schneckendorf (1865-1949) ausstellt


1914

Beteiligung mit Glasarbeiten auf der Ausstellung des Deutschen Werkbundes in Köln


1915

Als erste Frau wird sie in die Augsburger Künstlervereinigung „Die Ecke“ aufgenommen. In diesen Jahren entstehen u.a. propagandistische Postkarten.


1916

Ida Paulin wird auf der Leipziger Messe als „Überraschung“ gefeiert, wo sie unter anderem mit Gläsern, Stickereien, Keramiken und Batiken vertreten ist


Seit 1920

Beteiligung an der Grassimesse in Leipzig, die dem Ziel der Etablierung von Kunstgewerbe auf höchstem Niveau diente


1924

Heirat mit dem Maler Arn Haag


1925

Sie erhält ein Atelier im Künstlerhof und beschäftigt in den Folgejahren bis zu sechs Angestellte und Lehrlinge


1927 und 1941

Ida Paulin stellt regelmäßig im vom Bayerischen Kunstgewerbeverein eingerichteten Ausstellungsraum des Grassimuseums, dem so genannten „Bayern-Saal“ aus


1929

Sie entwirft das Dekor „Regenbogen“ für den Schweizer Schokoladenhersteller Sprüngli in Zürich


1933

Ida Paulin erwirbt in unmittelbarer Nähe zum Handwerkerhof im Mittleren Pfaffengässchen 27 (Lit. C 64) ein romantisches Fachwerkhaus mit Garten


1935/36

Teilnahme an der Wanderausstellung „Deutsche Kunst und kunsthandwerkliche Spitzenleistungen“, die das Grassimuseum von Dezember 1935 bis Juli 1936 in Belgrad, Sofia, Athen, Ankara und Istanbul veranstaltet. Ausstellung ihrer Produkte auf dem Kreuzfahrtschiff des Hapag-Dampfers „Reliance“.


1937

Ida Paulin ist im deutschen Pavillon der Weltausstellung in Paris unter der Rubrik „Glaswaren“ mit einer „Tischpräsentation“ vertreten, und erhält die Silbermedaille für einen Deckelpokal


1944

Der Handwerkerhof und ihr privates Wohnhaus werden in der Augsburger Bombennacht vom 25./26. Februar vollkommen zerstört, dabei gingen auch große Teile ihres künstlerischen Besitzstandes unter


1945

Ida Paulin zieht nach Bad Münster am Stein, Stein-Ebernburg, wo die Familien der beiden im Krieg gefallenen Brüder Idas leben


1947

Ein erster Glasbrandofen wird wieder in Betrieb genommen, erste Beteiligung auf der Leipziger Messe.


1949

Tod von Arn Haag


Seit 1950

Teilnahme an verschiedenen Messen, darunter die Frankfurter Messe und die Grassimesse in Leipzig


 14. August 1955

Ida Paulin stirbt infolge einer Herzschwäche und wird in Bad Münster am Stein beigesetzt

Am Anfang
war die Malerei

Von 1902 bis 1906 besuchte Ida Paulin die Damenakademie des Münchner Künstlerinnenvereins, deren breit gefächerte und systematisch angelegte Ausbildung sich weitgehend an den Lehrplänen der Königlich
Bayerischen Akademie der Künste orientierte. Zu ihren Lehrern gehörten der Maler und Illustrator Angelo Jank, der für die Zeitschrift „Jugend“ tätig war, die Landschaftsmalerin und Lithografin Ellen Tornquist und die Malerin Caroline Kempter. Die von ihr geschaffenen Bildnisse zeigen einen pastosen und kraftvollen Malstil.

Ida Paulin: Im wilden Wein, Öl auf Leinwand © KMA

Motive und Inspiration

Die von Ida Paulin eingesetzten Motive sind Abwandlungen von Blatt-, Spiral- und Punktornamenten, wie sie etwa in schablonierten Dekoren von Ludwig Hohlwein und auch bei Otto Prutscher aus Wien vorgebildet waren. Weitere künstlerische Impulse erhielt sie von der 1892 gegründeten Münchner Secession sowie von den wenig später ins Leben gerufenen Vereinigten Werkstätten für Kunst und Handwerk.

Spirale und Stechpalme haben ihren Ursprung in der Wiener Werkstätte, hier vor allem in Michael Powolnys Entwürfen für die Vereinigte Wiener und Gmundner Keramik aus den frühen 1910er Jahren. Auch griff sie das Motiv der Zahnschnittkante auf, das seit 1905 bereits in der Nymphenburger Porzellanmanufaktur verwendet wurde. Die Übernahme all dieser Motive und Formen zeigt, dass Ida Paulin das breite Spektrum der damals bekannten modernen Inspirationsquellen in den Blick zu nehmen und daraus eigene Dekore zu entwickeln verstand.

Lebensgefühl der zwanziger Jahre

Eigentlich waren die Zwanzigerjahre das Jahrzehnt der Frauen. Sie befreiten sich von Korsett und langen Röcken, Hosen im Stil von Marlene Dietrich, Sakkos, Krawatten und Bubikopf waren angesagt. Zur abendlichen Unterhaltung in den Großstädten trugen Kino, Varieté, Revuen, Operetten und aus Amerika importierte Musik wie Jazz und Swing bei. Die in den Zwanzigerjahren mit Begeisterung aufgenommenen amerikanischen bzw. afroamerikanischen Tänze revolutionierten das Tanzgeschehen in Deutschland.

Mit den Dekoren ihrer Gläser entsprach Ida Paulin voll dem damaligen Zeitgeist. Marlene Dietrich, Josephine Baker, Tänzerinnen und Tänzer, Jazzmusiker, Paare in Abendgarderobe beim Tanz oder an der  Bar bilden beliebte Motive. Auch Frauen im Sportdress oder Schwimmanzug, beim Wandern, Skifahren oder beim Flanieren mit Freundinnen sind wiederkehrende Sujets.

Alles blau:
Kobaltblaues Glas

Die Mode kobaltblau durchfärbter Gläser verbreitete sich in den späten 1910er und beginnenden 1920er Jahren von Böhmen ausgehend bis in den Bayerischen Wald. Ein bekannter böhmischer Produzent war
Ludwig Moser & Söhne in Karlsbad.  Auch Ida Paulin entwarf viele kobaltblaue Gefäße – darunter Deckeldosen, Teller, Flaschen, Vasen, eine Bowle und einen Kerzenleuchter in einer Relieftechnik, sogenannte "oroplastische Dekore": Mit Flusssäure ätzte sie Rocaille-, Lorbeerblatt- oder Früchtefries in das Glas ein und vergoldete diese Flächen anschließend matt oder bemalte sie pastos mit Emailfarben.

Ida Paulin: Fußschale © KMA

Japonismus, Spinnennetz und Chinoiserie

Als sich Japan Mitte des 19. Jahrhunderts für den Westen öffnete, machte Europa Bekanntschaft mit der "fremdartig" wirkenden Kunst dieses Landes. Bereits 1862 gab es auf der Weltausstellung in London eine erste Präsentation fernöstlicher Kunstwerke, 1909 fand die erste umfassende Ausstellung japanischer Kunst in München statt. Vor allem japanische Farbholzschnitte, bestimmt durch Zweidimensionalität, kühne Bildausschnitte und die Betonung der Linie, wurden zur Quelle der Inspiration für die Kunst der Moderne.

Auch Ida Paulins Schaffen wurde durch die fernöstliche Druckgrafik gestalterisch und motivisch beeinflusst. So zeigen ihre Naturdarstellungen mitunter ausschnitthaft wiedergegebene, stilisierte Vögel, Fische, Insekten und Pflanzen wie etwa Zweige mit Kirschblüten. Dazu gehört ebenfalls das Motiv der in einem radialen Netz sitzenden Spinne, das sich durch das Glasoeuvre von Ida Paulin zieht und auf Vasen, Dosen, Tellern und vor allem Trinkgläsern zu finden ist. In den 20er Jahren rezipierte sie zudem die neue Welle der Chinoiserie-Begeisterung in Deutschland.

Ida Paulin: Vase © KMA

Ehemann
Arnold Haag

Arnold Haag (1883-1949) studierte von 1903 bis 1912 an der Kunstakademie München und war Meisterschüler von Franz von Stuck. Im Verlauf seiner Studienzeit schuf er zahlreiche grafische Arbeiten und Buchillustrationen.

Als er 1923 Ida Paulin, die er aus früherer Zeit kannte, wiedertraf, beschlossen beide, im „Künstlerhof“ im Augsburger Äußeren Pfaffengäßchen eine Glaskunstwerkstatt zu eröffnen. Um sich Grundkenntnisse der Glasmalerei anzueignen, besuchte er 1924 die von Bruno Mauder geleitete Glasfachschule Zwiesel im Bayerischen Wald. Im selben Jahr heiratete er Ida Paulin und übersiedelte nach Augsburg.

In den Folgejahren entstanden Auftragsarbeiten für die Stadt Augsburg, zum Beispiel die bis heute erhaltenen Glasfenster für die Friedhofskapelle in Augsburg-Haunstetten, für die Hammerschmiedeschule und die Canisiuskirche.

Neben seinen eigenen Großprojekten beteiligte sich Arn Haag an Entwürfen für die Glasmalerei seiner Frau. Ansichten von Städten, Burgen und Kirchen sowie figürliche Darstellungen lassen seinen Einfluss erkennen. Glasobjekte mit seiner Signatur sind nicht bekannt, vereinzelt kommt die Doppelsignatur „AIPH“ vor.


Führungen
und Programm

Regelmäßige Veranstaltungen 

Turnusführung
Jeden Samstag 14 Uhr

Themenführungen
Jeden zweiten Samstag 15:30 Uhr

Sonderführungen

So, 28. April 2024, 12 Uhr, Schaezlerpalais
Faszination Sammeln – ein Rundgang mit dem Sammler Peter Mrachacz
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Sa, 4. Mai 2024, 10:30 Uhr, Schaezlerpalais
Faszination Sammeln – ein Rundgang mit dem Sammler Peter Mrachacz
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Herzlichen Dank für die Unterstützung an

SCHAEZLERPALAIS
Maximilianstraße 46
D-86150 Augsburg
T +49 (0) 821 324 41 18 (Kasse/Shop)

Kuratoren der Ausstellung: Dr. Christof Trepesch und Sarah Klein M.A.
Wissenschaftliche Mitarbeit: Dr. Angela Nestler-Zapp
Strategische Kommunikation: Monika Harrer-Jalsovec M.A.
Führungen und Programme: Team Kunst- und Kulturvermittlung
Redaktion der Seite: Simone Eitzenberger M.A
Ausstellungsgrafik: Kerstin Kriegbaum.
Bildnachweis: Kunstsammlungen & Museen Augsburg und wie angegeben.