Barbara Ciurej & Lindsay Lochman, "Recipes for Disaster", 2020, Mixed Media Installation, NASA-Fotos auf Papptellern, Gesamtmaß ca. 350 x 300 x 200 cm
© Barbara Ciurej & Lindsay Lochman
10 internationale Künstlerinnen und Künstler
stellen Fragen zum Zustand der Welt
In der Ausstellung geht es ganz grundsätzlich um das, was wir Tag für Tag intensiver erfahren – wie eklatant unser Lebensraum Erde durch vom Menschen selbst herbeigeführte Ursachen nicht mehr nur bedroht, sondern mutwilligen Zerstörungen ausgesetzt ist.
Die Verschmutzung von Luft und Gewässern, eine überbordende Abfallproduktion, CO2-Ausstoß und die damit verbundene Klimaerwärmung sind nicht nur die medialen Schlagworte dazu. Der Kontext im Ganzen stellt uns, gemeinsam mit den großen sozialen Umwälzungen der Gegenwart, vor ein grundsätzliches, alle angehendes und globales Existenzproblem. Längst ist die Kunst der Gegenwart dabei, sich ästhetisch, visuell und ganz handfest an damit verbundenen Fragestellungen zu beteiligen und sie in starke, selbst Fragen stellende Bilder zu fassen.
Dabei geht es nie um bildmächtige Verklärung oder nur Betroffenheit formulierende Weltbetrachtungen als vielmehr um einen kritischen Reflex aus künstlerischer Sicht, auf den die 1987 getroffene Feststellung des jüdischen Philosophen Hans Jonas (1903–1993) in prägnanter Weise zutrifft: "Wir sind der Natur gefährlicher geworden, als sie uns jemals war. Am gefährlichsten sind wir uns selbst geworden, und das durch die bewundernswertesten Leistungen menschlicher Dingbeherrschung. Wir sind die Gefahr, von der wir jetzt umrungen sind – mit der wir hinfort ringen müssen.“
Begleitende temporäre Präsenz: Büro für Nachhaltigkeit (DE).
Kurator: Thomas Elsen
"Wir sind der Natur
gefährlicher geworden,
als sie uns jemals war."
"Am gefährlichsten sind
wir uns selbst geworden,
und das durch die
bewundernswertesten
Leistungen menschlicher
Dingbeherrschung."
Olaf Otto Becker, Cenote Maya, Mexico, 12/2018, 149 x 180 cm
© Olaf Otto Becker
Olaf Otto Becker, Cenote Maya, Mexico, 12/2018, 149 x 180 cm
© Olaf Otto Becker
Olaf Otto Becker (DE)
*1959 Lübeck-Travemünde, lebt in München, Deutschland
"Seit mehr als 30 Jahren bildet die Landschaftsfotografie den Kern meines fotografischen Werks. Insbesondere beschäftigt es mich, die sichtbaren Spuren menschlicher Überbevölkerung zu dokumentieren, die diese in der Natur hinterlässt. Es sind genau diese Spuren die verdeutlichen, wie wir mit unserem Planeten umgehen. Ich versuche Bilder zu produzieren, die als Poesie und Dokumentation von Prozessen zugleich erscheinen und für uns alle relevant sind."
Barbara Ciurej & Lindsay Lochmann, "Recipes for Disaster", Katastrophen-Rezepte, 2020. Mixed Media Installation, Kochbuch, Tisch, Hocker, NASA-Fotos auf Papptellern, Gesamtmaß ca. 350 x 300 x 200 cm
© Barbara Ciurej & Lindsay Lochmann
Barbara Ciurej &
Lindsay Lochmann (USA)
Formaler Ausgangspunkt für das amerikanische Künstlerinnen-Duo ist ein Kochbuch, das in den 1950er Jahren in den USA ein Verkaufsschlager war. Die Künstlerinnen haben es als Symbol für eine beginnende Ära ungebremsten Konsums in Form eines Reprints verwendet und fotografisch-konzeptuell umgestaltet.
Nun findet man humorvoll-sarkastische Anleitungen zum fortgesetzten Traktieren unseres natürlichen Lebensumfeldes in diesem Desaster-Kochbuch: Mit bissigem Witz verweisen Rezepte wie Rainforest-Flambé, Baked Alaska oder Californie Crispies auf die vom Menschen immer weiter betriebene Zerstörung der Natur. Dazu sehen wir auf Satellitenbilder der NASA von klimabedingten Naturkatastrophen, die auf billige Pappteller – ebenfalls Symbole der Wegwerfgesellschaft par excellenze – geprintet sind. Das Bild unseres Planeten dient dem Besucher als wärmendes Sitzkissen.
Anja Güthoff, "Tank", Mixed Media Installation, 2020, gefundene Objekte, Kunststoff, Gebrauchsgegenstände, Strandgut, Abfall, Gesamtmaße ca. 1200 x 200 x 100 cm
© Anja Güthoff
Anja Güthoff (DE)
*1965 Kaufbeuren, lebt und arbeitet in Augsburg
In ihrer raumgreifenden Installation "Tank" hat die Augsburger Künstlerin gebrauchte Plastikplanen, Fundobjekte sowie verschiedenste weggeworfene Gegenstände eingesammelt und eine lange Reihe von Metallcontainern damit befüllt. Diese gewöhnlich eher sperrmüllreifen Objekte stehen stellvertretend für die gigantischen Mengen Zivilisationsmüll, der sich unter der Oberfläche der Ozeane in bildhaft kaum darstellbarem Ausmaß verbirgt (lt. ,National Geographic‘ geschätzte 7 Milliarden Kilo allein an Plastik jährlich in unseren Meeren).
In den zwei zugeordneten Videos plätschern Wasser und Wind in beruhigender Besinnlichkeit. Sie zeigen klares Meerwasser und spiegeln zugleich das Verhältnis von Oberfläche und dem, was sich tief darunter verbirgt: Grüne Alge (Norwegen) Unterwasserwald (Deutschland).
Edgar Honetschläger, "GoBugsGo", 2018 ff. Rauminstallation, 339 Weckgläser auf Holztafel, Printedition, handgeschriebenes Formular, Hocker, ca. 1200 x 75 x 50 cm
© Edgar Honetschläger
Edgar Honetschläger (AUT)
lebt und arbeitet in Wien
Mit seinem GoBugsGo-Projekt wirkt der österreichische Künstler Edgar Honetschläger ganz direkt und unmittelbar in die Gesellschaft hinein. Sein vor zwei Jahren gegründeter gleichnamiger Verein dient allein dem Zweck, Geld zu sammeln um Land zu kaufen, das der Natur wieder zurückgegeben werden soll. Es ist der Versuch einer gemeinschaftlichen Renaturalisierungsmaßnahme, damit sich vor allem Insekten wieder ansiedeln können. Für einen kleinen Betrag kann jeder Besucher selbst ein Unterstützer und ,Buggy‘ werden und durch den Erwerb einer originalen Edition des Künstlers zum Fortschritt des Projekts beitragen.
Magdalena Jetelová, 5 Fotografien aus der Serie Pacific Ring of Fire, 2018. Diasec prints, Leuchtkästen, je 150 x 200 x 4,5 cm
© Magdalena Jetelová
Magdalena Jetelová (CZE)
*1946 Semily, ehem. Tschechoslowakei
In "Pacific Ring of Fire" greift Magdalena Jetelová das Thema der Naturgrenze und geologischen Nahtstelle auf und nimmt es zum Anlass, auf die drastischen geologischen Veränderungen durch den Klimawandel hinzuweisen.
Andrea Motta, "1st Moments", 2016 ff. Serie von 36 Fotografien, gerahmt unter Glas, je 40 x 30 cm
© Andrea Motta
Andrea Motta (BRA)
* 1970 Sao Paulo, lebt und arbeitet in Athen
Die brasilianische, in Athen lebende Künstlerin Andrea Motta hat in ihrer Fotoserie seit 2016 die ersten Momente Geflüchteter unmittelbar nach ihrer Ankunft auf den griechischen Inseln festgehalten. Noch immer sitzen dort viele Tausend Menschen in überfüllten Lagern unter katastrophalen Umständen fest (was in der medialen Berichterstattung durch den Ausbruch der Corona-Pandemie in den letzten Monaten weit nach hinten gerückt ist).
Dennoch betreibt Andrea Motta keine medientaugliche Dokumentationsfotografie, erst recht keinen fotografischen Voyeurismus. Sie widmet ihre Aufmerksamkeit ausschließlich dem einzelnen, den allein sie in seiner individuellen Persönlichkeit ins Bild setzt.
Mottas Porträts zeigen Menschen in einer Art Null-Moment, zwischen Hinter-sich-lassen und Noch-vor-sich-haben, in einem einmaligen Augenblick zwischen Angst und großen Erwartungen an eine bessere, sichere Zukunft. So offen und hoffnungsvoll, wie vielleicht danach nie wieder.
Elham Rokni, #The Seven Abdulkarims", 2018, 22 min., HD-Video, Sound
© Elham Rokni
Elham Rokni (ISR)
*1980 Iran, lebt und arbeitet in Tel-Aviv
Basierend auf Begegnungen der Künstlerin Elham Rokni mit Asyl-Suchenden in Israel verschmilzt "The Seven Abdulkarims" Fiktion und Realität und mischt nordafrikanische mündliche Überlieferungen mit ihren eigenen Erinnerungen und persönlichen Reaktionen auf diese fremden Erzählungen.
Die sieben Abdulkarime geht auf ein Volksmärchen zurück, das Elham Rokni ihrerseits durch Erzählungen kennengelernt, und ihrem jüngsten Buch, "Der Sultan, das Mädchen, Der Iblis und der Schweif des Löwen" publiziert hat. Noch vor der Publikation hat sie die darin enthaltene Sammlung von Geschichten formell in die ,Israel Folktale Archives‘ eintragen lassen, ein nationales Archiv für volkskundliche Überlieferungen unterschiedlicher Volksgruppen in Israel.
Erzählt von Omar Issa, einem sudanesischen Asyl-Suchenden, handelt die Erzählung von sieben Männern – jeder von ihnen mit Namen Abdulkarim – die versuchen, von ihrer Heimat Sudan aus Libyen zu erreichen. Weil sie ihren kleinen Heimatort zuvor jedoch niemals verlassen haben, und ohne jede Ahnung von den Strapazen sind, die vor ihnen liegen, müssen sie alle sterben, bevor sie ihr Ziel erreichen – auf ebenso skurrile wie entsetzliche Weise.
Komponiert aus neun verschiedenen Szenen kontrastierender Genres und Stilmittel (Essay-Film, Dokumentation, Animation, Theatralik, Slapstick u.a.) benutzt Rokni eine frei-narrative Filmstruktur, um metaphorisch und satirisch Israels aktuelle Einwanderungssituation zu beleuchten – spielerisch, surreal und mit dramatischer Eindringlichkeit zugleich.
Seit 2015 sammelte die Künstlerin mündlich überlieferte Volkserzählungen von Geflüchteten aus Sudan und Eritrea, die aktuell die größten asylsuchenden Gruppierungen in Israel darstellen. Sie hörte und zeichnete ihre Erzählungen auf in Tel Aviv, Jerusalem sowie im Holot detention center, tief in der israelischen Negev-Wüste.
Saba Sitton (USA)
"Manchmal ist meine Arbeit der Widerhall eines Gefühls von Hoffnung oder Sehnsucht. In anderen Fällen vermittelt sie Desorientierung oder Zweifel. Wie bei einem Zuwanderer oder jemandem, der im Exil lebt – auf einer Lebensreise als fortwährendem Dazwischen."
Charles Xelot, "There is gaz under the tundra", 2016-2018, 9 Fotografien auf Alu-Dibond, je 120 x 90 cm
© Charles Xelot
Charles Xelot (FRA)
Lebt und arbeitet zwischen Moskau und Paris.
Die Yamal-Halbinsel in Nordwest-Sibirien beherbergt eines der größten Gasfelder der Welt. Die Tundra dort ist heute bedeckt von Pipelines und Leuchtmarkierungen, die nachts die Küste beleuchten.
Die gezeigten Fotografien wurden alle im Winter aufgenommen. Dieses Fotoprojekt stellt unser Konzept von ,Grenze‘ infrage, und seine Geschichte findet statt am nördlichen Ende des eurasischen Kontinents und seiner letzten Landgrenze. In der ursprünglichen Nenet-Sprache der Einwohner bedeutet Yamal ,Das Ende der Welt‘. Die hier sichtbare geographische Grenze stellt Fragen nach der Spannung zwischen Natur, Begrenzungen und der Entwicklung der menschlichen Gesellschaft.
"Wir sind die Gefahr,
von der wir jetzt umrungen
sind – mit der wir hinfort
ringen müssen.“
Temporäre Präsenz im H2 – Zentrum für Gegenwartskunst im Glaspalast: Büro für Nachhaltigkeit Augsburg
H2 – Zentrum für Gegenwartskunst im Glaspalast
Beim Glaspalast 1
D-86153 Augsburg
Impressum:
www.augsburg.de
Kunstsammlungen und Museen Augsburg
Direktor: Dr. Christof Trepesch
Kurator der Ausstellung: Dr. Thomas Elsen (Leitung H2 – Zentrum für Gegenwartskunst)
Leitung strategische Kommunikation: Monika Harrer-Jalsovec M.A.
Website: Waldmann & Weinold, Kommunikationsdesign
Bildnachweis:
© Künstler der Ausstellung, Raumaufnahmen: Olaf Otto Becker